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Studie: Junges Engagement im digitalen Zeitalter
„Bestehende Formen des Engagements werden durch Formen digitalen Engagements nicht ersetzt, sondern ergänzt.“ So lautet eine Kernaussage des Dritten Engagementberichts, erstellt von neun Professor/innen im Auftrag der Bundesregierung. Gerade erschienen, bekam er ungeahnte Aktualität: „Zukunft Zivilgesellschaft: Junges Engagement im digitalen Zeitalter“, so der Titel, passt in die historischen Wochen, da das Internet durch Corona eine besondere Bedeutung gewann, auch und gerade im Engagement. Um Entwicklungen des (jungen) Engagements in einer digitalen Gesellschaft einzufangen, wurde für den Bericht schon 2019 eine Umfrage unter gut 1.000 Menschen zwischen 14 und 27 Jahren durchgeführt. Hier ein Einblick in wichtige Ergebnisse:
Dies- und jenseits der klassischen Formen: Engagementorte und -wege
- Dass sie sich in den letzten zwölf Monaten für einen gesellschaftlichen Zweck eingesetzt haben, sagen 63,7 Prozent aller Befragten.
- 25 % der jungen Menschen finden den Einstieg in gesellschaftliches Engagement über das Internet.
- 64,2 Prozent der jungen Engagierten taten das in klassischen Organisations- beziehungsweise Vereinsbezügen, 30,3 Prozent auch außerhalb traditioneller Strukturen und informellen Gruppen.
- 21,9 Prozent sind in online organisierten Gruppen aktiv.
- Als „digital engagiert“ werden 43,2 Prozent der engagierten Befragten beschrieben. 26,1 Prozent üben ihr Engagement „teilweise“ mittels digitaler Medien aus, 14,4 Prozent „überwiegend“ und 2,7 Prozent „vollständig“ aus.
Mehr Freiheiten an Zeit, Raum und Themen: Vorteile der sozialen Medien und des Internets für ihr Engagement
- Freier entscheiden zu können, wofür sie sich einsetzen: Das ist für 72,7 Prozent der jungen Engagierten ein Vorteil.
- Die freie Wahl, wann sie ihrem Engagement nachgehen, ist für 71,9 Prozent ein Vorzug.
- 65,3 Prozent sagen, das Internet und die sozialen Medien bringe völlig neue Themenfelder für soziale Aktivitäten auch jenseits des eigenen Wohnortes.
- 28,7 Prozent der jungen Engagierten nutzt Internet und soziale Medien für ihr Engagement, weil es für sie vor Ort nichts Passendes gibt.
Bedauerlich ist: Der Bericht bietet keine Zahlen dazu, wie Menschen aus anderen Altersgruppen zu diesen Fragen antworten. Ein Vergleich ist so nicht möglich, die Einordung schwierig. Von daher muss offen bleiben, ob die ermittelten Phänomene ‚jugendspezifisch‘ sind – oder aber vielleicht auch einen allgemeinen Trend widerspiegeln.
Weitere Kernaussagen aus dem Kurzbericht
+ „Für Engagement-Organisationen stellt die Digitalisierung einen Strukturwandel dar. (…) Einige von ihnen sehen vor allem Herausforderungen, andere in erster Linie Potenziale.“ Wie in anderen Studien auch, werden fehlende Ressourcen und Kompetenzen angeführt. Ein Grund, weshalb Digitalisierung „für einige Organisationen“ zur zusätzlichen Herausforderung wird. Explizit erwähnt wird die „Gefahr, (…) den Anschluss zu verlieren“.
+ „Digitalität erweitert nicht nur die Formen, sondern auch die Inhalte des Engagements. Digitalisierung wird zudem selbst zum Thema von Engagement.“ Das Internet ist quasi nicht nur Mittel (zum sich informieren, verabreden, abstimmen, kommunizieren etc.), sondern auch Zweck. Datenschutz, Hate Speech, Monopole: Es gilt, die digitalisierte Welt selbst zu einem besseren Ort zu machen.
+ „Es zeichnet sich eine Entwicklung in Richtung einer digitalisierten Zivilgesellschaft ab. Darin gestalten zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure zunehmend aktiv den Prozess der gesamtgesellschaftlichen Digitalisierung mit.“ Sprich, sie versuchen auch, einen Gegenpol gegen die privatwirtschaftlichen (Monopolisierungs)Interessen der Global Player wie Google zu bilden, indem sie eigene alternative Angebote schaffen, auch dank eigener Kompetenzen zur Mitgestaltung einer digitalen Gesellschaft. Digitale Infrastrukturen und Werkzeuge zu gestalten, verstehen diese zivilgesellschaftlichen Akteure dabei „nicht als eine rein technologische, sondern gesellschaftliche Aufgabe“.
Inhalte sharen und liken = Engagement-relevante Aktivitäten
Was umfasst eigentlich alles digitales Engagement? Hier finden die Autor/innen eine womöglich neue Kategorie, nämlich „digitale Engagement-relevante Praktiken“. Dazu zählen sie „das öffentliche Teilen (Sharing) von Inhalten sowie das öffentliche Reagieren auf diese geteilten Inhalte durch andere Nutzerinnen und Nutzer in sozialen Medien“. Dies seien „zwei der grundlegendsten und am weitesten verbreiteten“ Aktivitäten, die sich „als überaus einfache und voraussetzungsarme Form des Engagements“ verstehen lassen, wenn damit etwa politische Anliegen vertreten, Proteste oder Spendenaufrufe organisiert oder auf gemeinnützige Projekte hingewiesen wird. Die jungen Menschen selbst sind da zurückhaltender. So online kommunikativ aktiv zu sein hat „in der Selbsteinschätzung der Jugendlichen nicht zwangsläufig den Status eines Engagements“. Für Autor/innen „unterschätzen“ sie damit aber, welchen Einfluss sie auf gesellschaftliche Entwicklungen haben.
Unterschiede zwischen den mehr und den weniger digital engagierten jungen Menschen
- Spannend ist, dass die Motive unterschiedlich gelagert sind: Während bei den kaum digital Engagierten „Spaß“ und „Geselligkeit“ ganz vorne stehen, wollen die digital Engagierten eher „etwas Sinnvolles tun“ und „für die Gesellschaft etwas bewegen“. Und das auch häufiger als die Erstgenannten möglichst unverbindlich und zeitlich selbstbestimmt.
- Die digital Engagierten sind in vielen Feldern wie Kultur, Freizeit, aber auch Politik und Umweltschutz „überproportional vertreten“. Wer weniger im Internet engagiert ist, findet sich dagegen eher im kirchlichen Engagement oder bei den Rettungsdiensten.
- Digital Engagierte sind zu 40 Prozent bei selbstorganisierten Gruppen aktiv, die kaum digital Engagierten dagegen nur zu 20 Prozent.
Bildungsungleichheiten – auch im jungen digitalen Engagement
Wer Engagement mit Vielfalt und Teilhabe verbindet, wird beim folgenden Befund besorgt sein. Denn es zeigt sich „ein deutliches bildungsbezogenes Gefälle“. Diese Ungleichheiten, sagt der Bericht, würden sich „im Bereich der digitalen Kommunikation eher fortsetzen als vermindern“. Mit 47,2 Prozent sind Jugendliche, die eine Hauptschule besuchen, seltener gesellschaftlich engagiert als Jugendliche, die zur Realschule (61,1 Prozent) oder zum Gymnasium (73,2 Prozent) gehen.
Inzwischen ist nicht nur der Kurzbericht veröffentlicht hier, sondern auch der gesamte Engagementbericht als Drucksache des Deutschen Bundestags hier, samt Stellungnahme der Bundesregierung. Wir werden wie gesagt einzelne Aspekte der Studie nochmals aufgreifen.
Vielen Dank für die Zusammenfassung und den Text an unsere Kolleg:innen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen bagfa e.V.!