Engagiert in der Ukraine-Hilfe - Vorgestellt: Eva Schubach

19. Oktober 2022 | Rund um die Plattform Von unseren Partnern
Zu sehen sind 16 Frauen und ein Mann, wie sie freudig in die Kamera schauen. Vor ihnen steht ein Deutsch mit Unterrichtsmaterial.
Eva Schubach mit ihren Kurs-Teilnehmer:innen in der Maritim-Erstunterkunft

Sie sind oft rund um die Uhr im Einsatz: Ehrenamtliche unterstützen Geflüchtete aus der Ukraine beim Ankommen in Halle.

Das ist oft herausfordernd, birgt aber auch neue Begegnungen und bereichernde Erfahrungen. Das meiste ist für die Öffentlichkeit gar nicht zu sehen.

Um dieses Engagement in der Ukraine-Hilfe noch sichtbarer zu machen, haben wir mit Menschen gesprochen, die uns von Ihren Einsätzen und ihren Erfahrungen berichtet haben.

Möchten Sie uns auch Ihre Geschichte(n) erzählen? Sprechen Sie uns gern an!

Kontakt:
Freiwilligen-Agentur Halle-Saalkreis e.V.
Antonia Niemeyer
Tel. 0345/ 200 28 10 | E-Mail: ukraine@freiwilligen-agentur.de

Frau Schubach, Sie geben insbesondere Deutschkurse in der Erstunterkunft. Wie kam es dazu?

Zunächst begann ich im April dieses Jahres mein freiwilliges Engagement für die Geflüchteten aus der Ukraine als Sprachmittlerin. Als solche wurde ich zum Beispiel zu Wohnungsbesichtigungen oder zu einer Arbeitsvermittlung gebeten. Mein besonderes Anliegen war es jedoch, den Geflüchteten Halt und Zuwendung zu geben, ein Ansprechpartner zu sein – nicht nur wenn es um Formulare oder die Wohnungssuche geht, sondern vor allem für die ganz persönlichen Sorgen und Ängste, ihnen zu helfen, sich in unserem Land angenommen zu fühlen und ein bisschen Selbstständigkeit zu erlangen.

Da ich beruflich als Musikpädagogin tätig bin, lag das Unterrichten eigentlich nahe. Mit dieser Arbeit habe ich im Mai begonnen. Mit meinen beiden Mitstreiterinnen, Kristine Schulze und Viduté Stucinskaité, können wir dreimal wöchentlich Deutschunterricht in der Erstunterkunft anbieten. Der lange Zeitraum, über den ich hierbei die Ukrainer begleite, ermöglicht es, diese Menschen kennenzulernen und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Und: Es ist schön, die sprachlichen Fortschritte zu beobachten.

Außerdem habe ich noch die Patenschaft für eine stark sehbehinderte Ukrainerin übernommen. Neben Arztbesuchen sind vor allem bürokratische Herausforderungen zu meistern. Besonders liebt sie unsere gemeinsamen Spaziergänge. Ungeachtet der kulturellen Unterschiede haben wir eine Menge Gemeinsamkeiten in unserer Weltanschauung und Lebenssituation entdeckt.

Zu sehen, ist eine mittelalte Frau mit braunen schulterlangen Haaren im Portrait
Eva Schubach
Wie sieht ein typischer einsatz bei ihnen aus?

Natürlich muss ich mich auf die Unterrichtsstunden vorbereiten. So fertige ich grammatische Übersichten an, trage wichtige Vokabeln und Redewendungen zusammen und überlege ein Thema. Meistens reagiere ich dann allerdings spontan auf die Fragen und Themenwünsche meiner etwa 20 Schüler oder auf das, was sich gerade ergibt. Mein Ziel ist, die Ukrainer schnellstmöglich zu befähigen, Einkäufe, Behördengänge und dergleichen alleine zu bewältigen, sich in ihrem Umfeld zu orientieren und Kontakte zu knüpfen – ihnen zu einem selbstständigen Leben in Deutschland zu helfen. Deshalb liegt der Schwerpunkt vor allem auf der gesprochenen Sprache. Meine Kursteilnehmer sind mit Begeisterung bei der Sache und machen es mir nicht leicht, nach zweieinhalb Stunden intensiven und konversationsorientierten Arbeitens die Lektion zu beenden.

Nach dem Unterricht plane ich dann noch etwa 30-45 Minuten ein, um amtliche Schreiben zu übersetzen, Vermieter anzurufen oder einfach noch einem Menschen zuzuhören.
 

Gab es ein "aha-erlebnis" oder etwas überraschendes bei ihrem engagment und was war das?

Ja, ein „Aha-Erlebnis" gab es. In einer Gesellschaft, in der der Mensch in der Arbeitswelt oft nur auf seine Qualifizierung und seine Leistung reduziert wird, habe ich die wunderbare Erfahrung gemacht: Ich muss nicht perfekt sein. Es ist nicht schlimm, wenn ich hin und wieder mal ins Wörterbuch schauen muss. Hier zählen andere Werte.

Überraschend war für mich, wie gefasst und aufgeschlossen die Ukrainer zum Deutschkurs kommen, so dass unsere Stunden tatsächlich im Wesentlichen in sehr guter Stimmung verlaufen und wir auch oft gemeinsam lachen können. Damit hätte ich wirklich nicht gerechnet. Aber manchmal fließen schon auch Tränen, wenn sich die Angst um die Angehörigen in der Ukraine oder das Erlebte einfach nicht verdrängen lassen. Es ist eben doch eine außergewöhnliche Unterrichtssituation. Und ich muss anmerken, dass von den 350 Menschen, die in der Erstunterkunft untergebracht sind, insgesamt nur etwa 80 das Angebot wahrgenommen haben. Bei vielen lässt die seelische Verfassung nicht zu, sich auf ihr neues Umfeld einzulassen oder sie warten täglich darauf, nach Hause zurückkehren zu können.

Eine Begebenheit, die mich sehr nachdenklich gestimmt hat: Ich hatte das Wort „Heimat“ an die Tafel geschrieben, um die Aussprache der Buchstabenkombination „ei“ zu üben. Eine Dame fand gleich eine Anwendung für dieses Wort: „Meine Heimat ist die Ukraine“. Ihr trauriges Lächeln ließ mich ahnen, was sie bei diesem Satz empfand. Heimat ist sehr viel mehr, als das Wort, welches wir unter Staatsangehörigkeit ins Formular eintragen. Heimat ist das Vertraute, das uns geprägt hat, die Umgebung, die Menschen, die uns im Leben begleitet haben. In diesem Augenblick wurde mir besonders schmerzlich bewusst, was es bedeutet, wenn Heimat zerstört wird, wenn Menschen ihre Heimat verlassen müssen.

Emotionale Momente gibt es immer wieder, traurige aber auch solche, die mich glücklich machen und mir Kraft für diese Arbeit geben. Zum Beispiel, als eine Kursteilnehmerin ihre ersten Brocken Deutsch benutzte, um mir zu sagen: „Wir lieben dich“.
 

was waren & sind besondere Herausforderungen für sie?

Den Umgang mit Menschen empfinde ich immer als eine besondere Herausforderung, auch nach jahrelanger pädagogischer Arbeit – umso mehr in der vorliegenden Situation. Wir können unser Möglichstes für diese Menschen tun, aber nicht wirklich helfen. So kann ich oft nur mein Herz sprechen lassen.

Zudem ist es für mich eine große Herausforderung, auf die Verständigung in einer Fremdsprache angewiesen zu sein.

Und was mir auch schwerfällt: loszulassen, den Kopf für andere wichtige Dinge frei zu bekommen. Es gelingt mir oft nicht, Erzählungen meiner Ukrainer und Nachrichten über das Kriegsgeschehen in den Hintergrund zu drängen.

Zu sehen sind die Deutschkurs-Teilnehmer:innen, wie sie über ihren Aufgaben sitzen
Eva Schubach ist ein persönliches Lernen und das Üben der Sprache durch viel Sprechpraxis wichtig
über welche kanäle tauschen sie sich mit anderen engagierten im bereich der ukraine-hilfe aus?

Ich bin persönlich und telefonisch mit meinen Mitstreiterinnen in Kontakt, mit denen mich inzwischen ein freundschaftliches Verhältnis verbindet. Neben dem Austausch über Lehrbücher und Unterrichtskonzepte gefällt es mir auch einfach, wenn mittags ein Anruf kommt: „Wie war heute dein Unterricht? Alles in Ordnung?“
 

was war / ist hilfreich bei ihrem Engagement?

Hilfreich ist, dass ich mich mit meinem Engagement nicht alleine fühle, dass mich mein Umfeld mit Verständnis, Interesse und Hilfe unterstützt, dass ich bei der Freiwilligenagentur anrufen kann, wenn ich Fragen habe. Und auch den freundlichen Mitarbeitern der Pfarrei Carl Lampert bin ich dankbar. Hier können wir unseren Deutschkurs nach der Schließung der Erstunterkunft Ende Oktober fortsetzen.

 
wenn sie drei wünsche frei hätten: Welche wären das bezogen auf  ihren einsatz in der Ukraine-Hilfe?

Als erstes fällt mir ganz spontan ein: Weniger Bürokratie.

Zweitens:  Je länger ich Deutschunterricht erteile, desto stärker wächst in mir der Wunsch, diese Arbeit beruflich zu machen. Deutsch ist meine Muttersprache, ich verfüge über langjährige pädagogische Erfahrung, spreche Russisch, aber leider fehlt das nötige Zertifikat als Lehrer für Deutsch als Fremdsprache. Es werden dringend Lehrkräfte benötigt. Die Ukrainer warten monatelang auf einen staatlich geförderten Integrationssprachkurs, der für sie verpflichtende Voraussetzung für eine Bewerbung auf dem Arbeitsmarkt ist. Aber wenn sie es dann endlich geschafft haben, berichten sie einstimmig, dass sie davon kaum profitieren, weil die Dozenten des Russischen nicht mächtig sind. Man könne keine Fragen stellen, es gäbe keine Erklärungen in einer den Schülern verständlichen Sprache und oft fehlen die Übersetzungen für die erlernten Wortverbindungen. Aber es gibt offenbar keine den individuellen Voraussetzungen angepassten Verfahren, die es ermöglichen, im Quereinstieg die nötige Prüfung für die Lehrbefähigung abzulegen.

Mein dritter und größter Wunsch gilt meinen Ukrainern: ich wünsche mir, dass meine Schützlinge bald in eine friedliche und freie Ukraine zurückkehren könnten. Wenn dieser Tag einst kommen wird, werden sie einen kleinen Teil meines Herzens mit in die Heimat nehmen, und ich werde ihnen dankbar bleiben für diese Zeit, die mein Leben reicher gemacht hat.

Austausch- und Fortbildungsangebote für Engagierte

Die Freiwilligen-Agentur bietet kostenfreie Fortbildungen und Austausch an, um Engagierte zu unterstützen und zu stärken. Nähere Informationen gibt es auf der Website der Freiwilligen-Agentur.

 

Mehr Informationen zur Ukrainehilfe in Halle

Die Freiwilligen-Agentur bündelt und aktualisiert regelmäßig Informationen für Engagierte und Initiativen in der Ukrainehilfe in Halle auf dieser Plattform

 
Als Helfer:in registrieren

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Wir nehmen mit Ihnen Kontakt auf, sobald Ihre Hilfe benötigt wird. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass nicht alle Angebote sofort abgefragt werden. Die ebenfalls eingehenden Hilfegesuche werden aber kontinuierlich erfasst und bearbeitet, so dass wir Sie bei Bedarf schnell kontaktieren können.

 
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Über den folgenden Link können Initiativen und Organisationen, die sich für Schutzsuchende aus der Ukraine hier vor Ort stark machen und dafür freiwillige Helfer:innen suchen, ihre Angebote in unserer Datenbank eintragen. Wir werden schnellstmöglich Kontakt zu Ihnen aufnehmen, um Helfer:innen zu vermitteln.